Warum die Polar Grit X – oder nicht

Die Grit X ist die neueste – April/Mai 2020 herausgekommene – Multisport-Uhr von Polar, die sich an ein Outdoor-Publikum richtet.

Es ist ziemlich interessant, dass Polar hier in den Markt der Outdoorsportler expandiert, und noch interessanter, wie sie das machen. Die üblichen Ansprüche an eine Outdoor-Sportuhr werden von Polar nämlich zum Teil schon, zum Teil nicht, erfüllt.

Genauer zu wissen, wie diese Erwartungen (nicht) erfüllt werden, das ist sicherlich hilfreich darin, sich für oder gegen die Polar Grit X zu entscheiden!

Der grösste Vorteil

Verglichen mit anderen Outdoor-Sportuhren hat die Grit X den grössten Vorteil im “Ökosystem” für Tracking, Planung und Trainingssteuerung, das Polar zu bieten hat.

Das potentiell grösste Problem

Die Grit X hat gewisse Nachteile, wenn man Outdoor-ABC-Uhren gewöhnt ist (also solche mit Altimeter, Barometer, Kompass).

Navigation ist auch auf eine sehr spezielle Art implementiert, die zu Polars üblichem Ansatz gut passt, aber nicht die üblichste Art ist.

Und eine neue Vantage?

Wer einfach nach dem neuesten von Polar sucht, aber nicht unbedingt der Outdoor-Typ ist, sollte wahrscheinlich noch etwas warten.

Die Grit X zeigt gewisse Weiterentwicklungen, die Verbesserungen über die Vantage-Linie hinaus bieten – selbst über die Vantage V, die noch immer als das Top-Modell in Polars aktuellem Angebot präsentiert wird.

Mit Updates bei den Produkten für Strassenläufe und Laufbewerbe kann man aber wohl rechnen.

Aussehen

Fangen wir mit dem Design an.

Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters, aber die Grit X schafft ein gutes Gleichgewicht.

Sie ist dank des kräftigen Bezel und der Ansätze für die Uhrbänder mit Schnellverschluss schon Outdoor-orientiert und stark genug gebaut aussehend – zugleich aber ist das Design sauber und einfach genug, dass die Uhr auch in ein Business-Setting passt.

Die Vantage sieht immer noch “schneller” und glatter aus (wie auch die Suunto 9 und, meiner Meinung nach, Suunto 7); z.B. die Coros Vertix oder Apex Pro oder die Garmin fenix-Reihe sind noch mehr für Outdoor designt.

Konstruktion

Was ihren Bau angeht, ist die Polar Grit X auch ein wenig ein seltsamer Schritt in die Welt des Outdoor-Sports.

Insgesamt klingt alles gut.

Die Grit X erfüllt den militärischen Standard MIL-STD-810G, der als Beweis für Widerstandsfähigkeit gegen Aufprälle, Wasser und Staub sehr beliebt geworden ist.

Mit Verbundstoff-Gehäuse, Stahl-Lünette und Silikonband (und anderen Armbandoptionen) gibt die Grit X ein gutes Bild ab.

Die Seltsamkeit ist, dass Polar auch hier wieder nur Mineralkristallglas verwendet, kein Saphirglas. Es ist immerhin eine Version von Gorilla Glass, aber verglichen zu Saphirglas ist das eher besseres Marketing als tatsächliche Kratzfestigkeit.

Display

Ähnlich wie die Vantage V hat auch die Grit X ein transflektives Touch-Display.

Die Sichtbarkeit ist damit im Freien am besten, wenn Licht durch das Display fällt; bei wenig Licht ist sie nicht so gut.

Der Kontrast ist allerdings im Vergleich zur Vantage-Reihe verbessert; der Bildschirm der Grit X ist um eine Spur, aber eine bemerkbare Spur, schwärzer als jener der Vantage.

“Zifferblätter”

Die Zifferblätter, die man auf der Grit X bekommt, sind zu einem grossen Teil dieselben wie auf einer Vantage. Nur eines für die Anzeige der Wettervorhersage ist hinzugekommen.

Dieses Display zeigt zunächst einmal die Vorhersage für die nächsten Stunden für die aktuelle Position.

Geht man zu den genaueren Daten, dann wird die entsprechende Position (der Ort, an dem man wahrscheinlich ist) gemeinsam mit Datum und Zeit des letzten Updates der Daten angezeigt.

Es gibt einen Touch-Button, um ein Update zu machen (der anscheinend eine komplette Synchronisierung mit Polar Flow am gekoppelten Smartphone aktiviert).

Und natürlich kann man die Wettervorhersage für die nächsten Stunden, bis zu nächsten Tagen reichend, mit mehr Detail ansehen.

(Daten dafür kommen nur über das gekoppelte Smartphone, nicht von Sensoren oder einer sonstigen Verbindung der Uhr selbst; Polar hat nicht mitgeteilt, welcher Service für die Vorhersagedaten verwendet wird.)

Andere Zifferblätter, andere Funktionen, zeigen etwa das (Alltags-)Aktivitätstracking, Trainingstatus, Herzfrequenz, Training, Schlaftracking und Trainingsempfehlungen von FitSpark (wie auch bei der Vantage-Reihe).

Das grosse Plus von Polar (Flow und FitSpark)

Der grösste Vorteil, den Polar gegenüber anderen Sportuhrmarken und Wearables bietet, ist meiner Meinung nach der starke Fokus auf Training und Fortschritt in sportlicher Performance.

FitSpark

Möchte man einfach fit bleiben und braucht damit etwas Hilfe, kann man mit den Übungen, die von FitSpark direkt auf der Uhr angezeigt (und in der App und online weiter unterstützt werden) arbeiten.

Diese Funktion gibt Empfehlungen für Trainingsarten (Kardio für Ausdauer, Krafttraining oder “unterstützende” Übungen für die Mobilität, sprich Stretching). Sie schlägt auch vor, für wie lange und mit welchen Übungen man dieses Training ausführen sollte. Startet man eine Trainingseinheit auf der Uhr, so führt sie durch diese empfohlenen Einheiten.

Trainingspläne

Einen Schritt weiter – wenn man ein Trainingsziel wie einen Marathon hat – lassen sich in Polar Flow Trainingspläne aktivieren (oder einrichten, wenn man mit einem Coach arbeitet oder selbst weiss, wie gute Trainingssteuerung funktioniert.

Man kann ein geplantes Training nicht einfach so an einem anderen Tag machen, als dem geplanten (wie es anscheinend bei früheren Polar-Modellen möglich war). Trainingseinheiten mit verschiedenen Phasen lassen sich auch nicht für Power-Zonen oder in Kombination von solcher Trainingssteuerung und Routennavigation.

Das sind aber auch ziemlich spezielle Fälle, erwähnenswert nur, weil man darüber immer wieder Beschwerden hört, aber eigentlich wohl nicht das Übliche.

Das übliche ist wohl eher, dass man Training nach Pulszonen, Intervallläufe, Fahrtenspiele u.ä. machen will – und all das kann man in Polars Trainingsplänen sehr gut einstellen oder bekommt es ohnehin vorgeschlagen. Die Trainingspläne beinhalten auch etwas Cross-Training, und all die vorgeschlagenen Sportarten werden auch automatisch auf die Uhr gespeichert, wenn man einen Trainingsplan aktiviert.

Hügeltraining

Diese Trainingsfunktionen sind dieselben wie auf der Vantage. Bei der Polar Grit X kommt nur die automatische Zählung von Hügeln (Bergauf-, Bergab und flachen Strecken) hinzu.

Diese Funktion ist in den Bergen nur sehr bedingt sinnvoll, für Hügeltraining allerdings ziemlich interessant.

Die Grenzen der Outdoor-Welt von Polar

Wo Polar beim Thema Training glänzt, da muss man auf die Grit X doch auch etwas Schatten werfen. Vergleicht man sie nämlich mit anderen Outdoor-Uhren, so macht sie einiges seltsam – oder einfach nicht.

Grit X Navigation

Die Navigation, zum Beispiel, ist wirklich ziemlich nett, wenn man die Route von Komoot synchronisieren lässt und alle Regionen für Komoot “entsperrt” hat, um für allerorten die Richtungsindikation zu bekommen.

Wenn sie gut funktioniert, dann ist sie sehr hilfreich, ohne zu aufdringlich zu sein.

Wenn die Navigation allerdings nicht ganz richtig funktioniert, dann kann sie gewaltig nerven.

Wählt man etwa die Navigation “vom Startpunkt” aus und kommt dann nicht exakt zu diesem, dann wird man die ganze Aufzeichnung neu mit “mid-route”-Start aktivieren müssen, damit sie irgend etwas tut (außer zum Startpunkt zu zeigen).

Wenn die Uhr (GPS) feststellt, dass man nicht auf der gewählten Route ist, dann zeigt sie eine “falsche Richtung”-Warnung an, egal ob man in die falsche Richtung unterwegs ist, die Uhr das fälschlicherweise annimmt, oder man sich nur nicht auf der Route befindet (oder befinden soll).

Zoom? Nur automatisch

Verlässt man die Route tatsächlich, so zeigt ein Richtungspfeil zum nächstgelegenen Punkt auf der Route, aber es gibt keinen Zoom, mit dem man selbst nachsehen könnte, wohin und wie die Route weiter verläuft, wo auf der Route man gerade ist oder was auch immer sonst man sehen könnte, wofür ein manueller Zoom nur zu oft nützlich ist.

Wie es auf der Route weitergeht (oder zu dieser zurück), das sieht man nur mit einem automatisch gewählten Zoomfaktor, der meistens nur die nächsten 50 m anzeigt.

(Für die Navigation mit der Grit X muss ich aber wirklich einen eigenen Eintrag – oder mehrere – machen.)

ABC

Die Grit X ist ausserdem mit ABC-Sensoren – Altimeter/Barometer/Kompass – ausgestattet, aber bietet auf deren Werte nur beschränkt Zugriff.

auptsächlich werden sie bei Sportaufzeichnungen (mehr oder minder gut; meine Uhr scheint die Kompass-Kalibrierung nicht zu speichern) genutzt.

Selbst um den Kompass dabei einsehen zu können, müsste man aber einen Sportmodus im Vorhinein so eingestellt haben, dass dieser ihn auf einem Display zeigt.

Wie also ist die Grit X so?

Alles in allem ist es durchaus eine nette Uhr, die Polar da herausgebracht hat.

Bedürfnisse von Outdoor-Sportlern befriedigt sie durchaus etwas besser, als die Vantage. Sie hat auch neue Funktionen hinzugewonnen – und ich gehe auf HillSplitter und FuelWise hier praktisch nicht ein. Der Precision Prime oHR-Sensor, jetzt in Version 2.0, scheint auch verbessert worden zu sein (genau wie das Display, wie oben erwähnt).

Für richtige Bergsportler allerdings ist es wichtig, sich der Nachteile, was Outdoor-Funktionalität (ABC und Navigation) angeht, bewusst zu sein.

Persönliche Meinung

Mir persönlich gefällt die Vantage V für Training mit einem Fokus auf Trainingsfortschritten immer noch gut, und sie funktioniert noch immer gut dafür.

Was Datenqualität angeht, kümmert mich ihr ein wenig schlechterer HR-Sensor nicht wahnsinnig. Entweder kann ich mit schlechten Daten davon leben, weil ich sie mir ohnehin nicht ansehen werde oder ich werde einen Pulsgurt tragen, weil ich wirklich vertrauenswürdige Daten benötige.

Was GPS-Empfang angeht, habe ich keine grossartigen Unterschiede zwischen Vantage und Grit X festgestellt, noch nicht einmal bei der Pace (die auf GPS-Uhren ohnehin notorisch problematisch ist).

Würde ich mich aktuell für eine neue Uhr am Markt umsehen und würde eine Polar nehmen wollen, weil deren Web-Plattform und App und Uhr zusammen, mit all den Funktionen, die diese für Trainingssteuerung liefern, gut gefallen… dann wäre die Grit X wahrscheinlich schon die Wahl, vor der Vantage V.

Entscheidend wäre wohl die Frage, was die jeweiligen Uhren auf der Strasse wirklich gerade kosten und wie mir ihr jeweiliges Aussehen gefällt, mit einer sekundären Überlegung, was verbesserten Displaykontrast und oHR-Sensor (und neue Funktionen) auf der Grit X angeht.

2 responses

  1. Frank

    Hallo Gerald,

    danke für die sehr interessante und tiefergehende Betrachtung.
    Das Einzige, das mich wirklich verwundert: Der orthostatische Test und Recovery Pro scheinen Dir gar nichts zu bedeuten – zumindest erwähnst Du diese mit keinem Wort.
    In Deinem Fazit würdest Du – unter genannten Umständen – direkt zur Grit X greifen, obwohl die Grit o.g. Features nicht hat.

    Kannst Du sagen, warum Dich oT/Recovery Pro nicht interessieren? – Also ich bin Marathonläufer und trainiere auch sehr viel im Tempo-Bereich und oT/Recovery Pro sind für mich fast die einzig brauchbaren Tools an einer Polar-Uhr, denn der Rest der Features ist doch pures Entertainment.

    Sportliche Grüße!
    Frank

    1. Das ist ein verdammt guter Punkt – und tatsächlich einer der Gründe, warum ich wahrscheinlich für mich persönlich bei der Vantage bleiben werde und versuchen will, die Grit X nach den Tests weiter zu verkaufen (einmal abgesehen davon, dass das Geld einfach nicht auf Bäumen wächst).

      Es ist mir nur etwas untergegangen, weil ich mich hier auf die Grit X als Outdoor-Uhr konzentrieren wollte und das praktisch das einzige ist, was die Vantage V der Grit X (noch) voraus hat – und nicht unbedingt ein Thema für die Outdoorsportler.

      Erst recht aber, danke dafür, dass du das hier angesprochen hast!

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